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von Uta Jeide-Stengel
Die Amerikaner sind fester Bestandteil meiner Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend. Geboren 1949 in Butzbach und wohnhaft auf dem Marktplatz in dem unter Denkmalschutz stehenden großen Fachwerkhaus „Zum Löwen“ aus dem Jahrhundert waren es nur wenige hundert Meter bis zum Eingang der amerikanischen Kaserne. Schon hinter der Markuskirche säumten die Griedeler Straße links und rechts mehrere Kneipen, denen in meiner kindlichen Erinnerung irgendetwas Anrüchiges anhaftete und in denen man nicht verkehrte. Es war also eine Gegend, in der man sich tunlichst nicht länger als nötig aufzuhalten hatte. Häufig ratterten die amerikanischen Panzer schon im Morgengrauen über das Kopfsteinpflaster des Marktplatzes und versetzten das alte Fachwerkhaus in eine bedenkliche Vibration. Das war man aber gewöhnt, das waren die Amis und die waren schon immer da, warum und wieso überschritt den Fragehorizont des Kindes. Dass man sich von ihnen fernzuhalten habe, war ein unausgesprochenes Gesetz. Meine Spielkameraden aus unserem Haus und aus der Nachbarschaft, von einer einzigen Freundin aus der Korngasse abgesehen, ausschließlich Jungen, hatten da andere, pragmatischere Vorstellungen, in die sie mich einbezogen: Immer wenn ein Trupp amerikanischer Soldaten gesichtet wurde, der über den Marktplatz zur Kaserne marschierte, liefen sie mit mir an den Straßenrand, schoben mich nach vorne und ich hatte die Aufgabe, die Soldaten nett anzuschauen. Der Erfolg blieb selten aus. Aus ihren Tornistern gab es Süßes aus der Marschverpflegung: in Stanniol verpackte Trockenmilch, kreisrunde Kakaoteilchen, manchmal auch einen Bonbon oder einen Kaugummi, „Tschewinggumm“ genannt nach der Grundschullesart des Aufdrucks „chewing gum“. Diese Leckereien wurden anschließend unter allen gerecht verteilt und gemeinsam in einer Ecke des Stadthofes verzehrt, der sich an den Hinterhof unseres Hauses anschloss. Danach reinigte ich die Mundwinkel gründlich mit Spucke, denn ich konnte mir ausmalen, was passieren würde, hätte mein Vater Verdacht geschöpft. Und hierzu passt eine ähnliche Episode: Am Silvesterabend 1956 war ich mit dem etwa gleichaltrigen Sohn unseres Hausmeisters auf dem Weg zum „Demel“, dem einzigen Süßwarenladen in Butzbach. Wir waren beide im Besitz von 10 Pfennigen und wollten dafür 10 Himbeerbonbons erstehen, die in einem großen Glas lose verkauft wurden. Auf dem Weg dorthin kam uns ein offenbar angetrunkener Soldat entgegen, er blieb unvermittelt vor mir stehen und drückte mir einen 10-Mark-Schein in die Hand, einen schier unbegreiflichen Reichtum! Ich war völlig verblüfft, vielleicht hatte er Heimweh und möglicherweise habe ich ihn an sein eigenes Kind erinnert. Allerdings wagte ich nicht, mit einem Geldschein nach Hause zu kommen, deshalb tauschten ich ihn im Süßwarenladen in zwei Fünfmarkstücke ein, gab meinem Freund Helmut so die Hälfte ab und ließ das Geldstück dann klammheimlich in meiner Sparbüchse verschwinden. Eine besondere Anziehungskraft übten auf uns Kinder auch die Spielplätze der amerikanischen Wohnsiedlungen aus. Sie waren standardmäßig mit Sandkästen, Rutschen und Schaukeln ausgestattet und mit einem Boden aus gewaschenen Steinen versehen. In der Regel wurden wir auf dem Gelände auch geduldet, manchmal gab es aber auch Streit, wenn uns die amerikanischen Kinder von ihren Spielgeräten vertreiben wollten. Und in einer solchen Situation kam es zu einem Konflikt, der mir noch heute in schrecklicher Erinnerung ist:
Die amerikanischen Kinder begannen, uns mit Steinen zu bewerfen, wir waren zu dritt, verschanzten uns hinter einer Sitzbank und erwiderten den Steinwurf. Mein erster Wurf war ein Volltreffer und landete am Kopf eines kleinen Jungen. Ich sehe noch heute das Bild vor mir, wie das rote Blut von der Stirn auf seiner schwarzen Haut über sein Gesicht fließt. Wir ergriffen die Flucht und ließen uns auch in den nächsten Wochen dortnicht mehr blicken. Lange war ich der Meinung, die amerikanische Polizei suche mich und würde mich dann ins Gefängnis stecken.Großes Gefallen an den Amerikanern fanden vor allem junge Mädchen, die wie meine Schwester noch vor dem Krieg geboren waren.Der Umgang mit amerikanischen Soldaten galt als unschicklich. Das teilte uns später auch unser Biologielehrer in einem mehr allgemein gehaltenen und nach Geschlechtern getrennten sog. „Aufklärungsunterricht“ in der Untertertia (Klasse 8) mit: Ein anständiges Mädchen hat im Umkreis der Amikaserne nichts verloren! Alles das aber konnte der gegenseitigen Liebe keinen Abbruch tun. Selbst in der eigenen Verwandtschaft und in den Familien enger Freunde meiner Eltern kam es zu solchen „Mesalliancen“, die jedoch nur gefiltert unsere Kinderohren erreichten, wohl aber zu handfesten Katastrophen in den betroffenen Familien geführt haben müssen. Im Nachhinein kann ich nur feststellen: In den besser gestellten Kreisen wurde dann auch geheiratet und die Töchter verschwanden auf lange Zeit mit Mann und Kind in den USA. Sozial schwächer gestellte Familien hingegen, in denen die heranwachsenden Töchter durch ihre „Dienstleistungen“ auch für die Aufbesserung der familiären Finanzen gesorgt hatten, blieben dagegen sitzen und die biologischen Folgen mussten von den Familien selbst getragen werden. Aber auch hier gab es liebende Omas. Eine Nachbarin, die mit ihrer Familie eine Mansarde über der Bäckerei Freitag bewohnte, erzählte in der Stadt stets von ihrem Enkelsohn, dem süßen
„Lanzelottchen“.
Mit wachsendem Alter galt das Interesse dann auch anderen Schauplätzen, die in unserer Kleinstadt für allerhand Aufregung sorgten. Das, wie es in der Werbung hieß, „verschwiegene Gässchen am Marktplatz“, die Hirschgasse, beherbergte die Delicadobar, das Sündenbabel der Wetterau. Gewagte Striptease-Nummern lockten Gäste auch aus der weiteren Umgebung an, vor allem aber die amerikanischen Soldaten frequentierten das Lokal. So fanden dort regelmäßig vor allen an Wochenenden Razzien der amerikanischen Militärpolizei (MP) statt, die ich vom Fenster meines Zimmers immer hautnah miterleben konnte, spannender als der Krimi im Fernsehen. Rennende Soldaten aus der Hirschgasse wurden von bereitstehender Militärpolizei umzingelt, an die Wand gestellt, auf Waffen abgetastet und dann mitunter auch in die bereitstehenden Jeeps verfrachtet. Auch gewöhnungsbedürftige und nicht jugendfreie Ausdrücke keifender Mütter, die ihre gefallenen Töchter aus der Lasterhöhle gezogen hatten, ließen aufhorchen. Ruhig und ungefährlich war das Butzbacher Pflaster bei Nacht sicher nicht. Schreie und Prügeleien waren an der Tagesordnung, man reagierte schon nicht mehr, wenn jemand „Hilfe“ schrie und überhört wurde auch die regelmäßig heulende Alarmanlage des Pelzhauses Fitzau, wo es betrunkenen Amerikanern eine große Freude bereitete, gegen die Schaufensterscheibe zu treten. Mit der Strafverfolgung gegen die eigenen Landsleute nahm es die MP allerdings weniger genau. Als mein Vater einmal bei Dunkelheit den Marktplatz überqueren wollte, raste ein betrunkener Fahrer in einem amerikanischen Wagen auf ihn zu. Nur mit einem Sprung zur Seite konnte Schlimmes verhindert werden. Ein aufmerksamer Taxifahrer, der am Straßenrand auf Kundschaft gewartet hatte, konnte sich die Nummer des Fahrzeuges notieren, so dass der Vorfall bei der Polizeistation direkt gegenüber angezeigt wurde. Schon eine Stunde später berichtet uns der diensthabende Polizeibeamte, er habe die Auskunft erhalten, besagter Fahrer sei schon seit geraumer Zeit in die Staaten zurückgekehrt, es müsse sich also um einen Irrtum handeln. Am nächsten Morgen dann die Überraschung: Der Fahrer war in betrunkenem Zustand gegen eine Verkehrsinsel gerast und dort von der deutschen Polizei aufgegriffen worden. Konsequenzen hatte der Vorfall für den Verkehrssünder allerdings keine! Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich das Bild allerdings grundlegend geändert. Ende der 80er Jahre, als ich als ich als Lehrerin an der Augustinerschule in Friedberg tätig war, gab es eine Art Modeerscheinung: Einige in Friedberg stationierte amerikanische Offiziere zogen es vor, ihre eigenen Kinder lieber auf ein deutsches Gymnasium zu schicken als auf die amerikanische Schule, vermutlich, um den Kontakt der eigenen Kinder mit denen der einfachen Soldaten zu vermeiden. Nur selten ist der Versuch gelungen, denn die Anforderungen waren ohne Deutschkenntnisse nur schwer zu bewältigen. Doch ein 14- jähriges Mädchen, Tochter einer alleinerziehenden Mutter chinesischer Herkunft, schaffte es, in einem Jahr durch Fleiß, Intelligenz und Ausdauer die Klasse 8 zu meistern, durch guten Kontakt zu ihren Mitschülerinnen fließendes Deutsch zu lernen und bis zur Klasse 10 mit besonderen Leistungen in nahezu allen Fächern zu glänzen. Noch heute halte ich den Kontakt aufrecht und vor zwei Jahren haben mich Mutter und Tochter noch einmal zu Hause besucht. Und im Kontrast dazu taucht in meiner Erinnerung noch ein Erlebnis aus dem Jahre 1959 auf: Mit 10 Jahren wechselte ich von der Grundschule aufs Gymnasium und erfuhr zufällig aus einem Gespräch meiner Eltern, dass ein Junge, den ich vom Spielen kannte, ebenfalls dort angemeldet werden sollte. Er stammte aus einer sog. „Mischehe“ zwischen einer Deutschen und einem farbigen Amerikaner, der die Armee verlassen hatte und inzwischen als Schauspieler seinen Lebensunterhalt verdiente. Erstaunt fragte ich nach, warum dieser Junge denn unsere Schule nicht besuchen könne. Ich erhielt nur die lakonische Antwort: „Das verstehst du noch nicht.“
Ich bin glücklich darüber, dass ich es nie verstanden habe und mich auch niemand gezwungen hat, es verstehen zu müssen. Bei allen berechtigten Vorbehalten zeigt mir das Beispiel aber, welcher Wandel zu Offenheit und Toleranz sich im letzten halben Jahrhundert in unserer Gesellschaft vollzogen hat.