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Anfang 2023 meldete sich Mattias Fenske per Mail bei mir. Er hatte in der Wetterauer Zeitung einen Artikel über meine Webseite gelesen und war meinem Aufruf gefolgt, Geschichten über Kontakte zu Amerikanern zu teilen. Im Anhang von Mattias Mail befanden sich bereits ein Haufen Fotos, Zeitungsartikel und Videos, auf denen ich ihn und andere Wetterauer seiner Generation wiedererkannte.
Mattias war nämlich in den späten Achtzigern bis Mitte der Neunziger Jahre aktives Mitglied der Wetterauer Musikszene rund um Juz, Taf und den ruralen Auftrittsorten, die das Musikerleben in der Wetterau damals so besonders machten: Scheunen, Grillplätze, Vereinsheime. In seiner ersten Band Alienation, die er mit seinen besten Freunden, Guido, Lars und Ralf gegründet hatte, hätte zeitweise auch ein US-amerikanischer Soldat gespielt. Moses Burell hieße der Gittarist, von dem er mir erzählen wollte. Ich war vor Freude ganz aus dem Häuschen, suchte ich doch schon seit über einem Jahr, nach so einer Geschichte über Wetterauern, die mit Amerikanern musizierten, und war dabei bislang erfolglos geblieben.
Einige Monate später treffe ich Mattias schließlich zum Gespräch im Frankfurter Osthafen, wo er als Editor in der Videoproduktion arbeitet. Gerade aus dem Urlaub zurück, den ersten Arbeitstag hinter sich, legt Mattias die Füsse hoch und beginnt zu erzählen.
Aufgewachsen ist der 1972 in Butzbach geborenen Fenske zunächst in Bad Nauheim und ab dem 9. Lebensjahr schließlich in Friedberg, in unmittelbarer Nähe zur Kaserne. Die musikalische Früherziehung erfolgte zu Hause durch die Eltern. Bei den Fenskes liefen anders als bei den meisten Familien nicht Schlager oder Klassik, sondern die Stones, die Beatles, die Kinks und natürlich die einschlägig bekannten linken, deutschen Liedermacher. Beide Eltern waren Jungsozialisten gewesen, das Haus liberal und weltoffen, man symphatisierte und engagierte sich in der Friedensbewegung. Durch den älteren Bruder, der auch beim legendären, ersten Friedberger JUZ zu den Mitinitiatoren gehörte, lernte Mattias Bands wie Pink Floyd oder Marillion kennen und bei den Filmabenden im JUZ wurden die Klassiker des Rock-Kinos gezeigt: Tommy, The Wall, Spinal Tab. Dann lief da aber noch ein ganz anderer Film, der Mattias zur zweiten großen Leidenschaft neben der Musik bringen Sollte: Skateboard Fieber. Und irgendwie gehörte dass dann ganz schnell zusammen: Musik hören und Skaten brachten das ultimative Gefühl von Freiheit, das sich nur noch durch eines steigern liess —kaltes Bier.
Gemeinsam mit seinen Freunden Ralf und Sven besuchte Mattias, immer das Skateboard unterm Arm, Deutsch-Amerikanische Freundschaftsfeste, bei denen stets Musiker aus den umliegenden Kasernen auftraten, Rocksongs coverten und so für die ersten bewußten Livemusikerlebnisse sorgten. Kamen neue Platten raus, rannte man in der großen Pause schnell zum Breitenfelder, und hörte die neue Scheibe nach der Schule gemeinsam zum ersten Mal. Mit den Jahren wurde die Musik immer härter. Iron Maiden und Metallica ertönten bald aus den Boxen im Kinderzimmer. Die Haare wurden länger, die Jeans enger. Mattias und seine Freunde, die allesamt Instrumente spielten, wußten bald: wir gründen unsere eigene Heavy Metal Band. Gemeinsam mit Schulfreund Guido, der seit früher Jugend im Posaunenchor Schlagzeug spielte, funktonierte man flugs die Garage der Fenskes in einen Proberaum um – die Geburtstunde von Alienation. Bald kamen die ersten Auftritte und die jungen Musiker entwickelten sich zu selbsbewußten Mitglieder der Friedberger Musikszene. Ralf und Sven wurden zu wahren Virtuosen an Gitarre und Bass. Mattias, der sich anfangs ebenfalls an der E-Gitarre versuchte, stellte das Instrument wieder in die Ecke und konzentrierte sich voll auf den Gesang.
Am 1. Mai fand man sich, wie viele andere Friedberger Musiker:innen beim Open Stage des Musikhaus Velten ein. Hier konnten Bands aller Stilrichtungen die Bühne entern und kurze Sets zum Besten geben. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer kamen zu der dynamischen Veranstaltung und wollten sich überraschen lassen, so auch einige amerikanische GI’s, darunter Moses Burell.
Wie man genau ins Gespräch kam, weiß Mattias nicht mehr. Sein Englisch sei damals so schlecht gewesen, dass er unmöglich derjenige gewesen sein konnte, der Moses ansprach. Wie auch immer, die vier jungen Heavy Metal Musiker und der schwarze Amerikaner aus den Südstaaten verstanden sich auf Anhieb prächtig. Ralf und Mattias schwärmten gemeinsam mit Moses von Band wie Fishbone und Living Colour, die Heavy Metal mit Blues, Jazz und Reggae Elementen kombinierten. Heute fast vergessen, beeinflussten diese Bands die großen Crossover Acts der Neunziger Jahre.
Flugs lud man Moses zur nächsten Bandprobe ein. Der Amerikaner hatte sich gerade von seinem ersparten Lohn seine erste eigene E-Gitarre und seinen ersten Marshallverstärker gekauft und sagte sofort zu. Und tatasächlich, am nächsten Dienstag stand Moses in der Garage der Fenskes und ein neues Kapitel begann für Alienation.
Alienation live im Juz Bad Nauheim
Schnell lernte das neue Bandmitglied, das bereits vorhandene Repertoire, brachte eigene Ideen mit und gemeinsam arbeitete man an neuen Songs. Manchmal sogar in der Kaserne. Diese war damals zwar nicht frei zugänglich, aber in Begleitung eines amerikanischen Soldaten, der die Verantwortung übernahm, waren Besuche möglich. Mattias erinnert sich lebhaft an einen gemeinsamen Besuch der Bowling Alley und dem sich darin befindenden Restaurant der Fastfood Kette Burger King. Wie an einen kleinen Ausflug nach Amerika erinnert sich der Friedberger an den Abend in den Barracks. Als die Amerikaner Friedberg verließen, träumte Mattias davon die Bowling Alley zu kaufen und daraus eine Erlebnissgastronomie zu machen:
„Mit Bowling, Burgern und Kellner:innen auf Rollschuhen“, sagt der sympatische Fenske nicht ohne dabei etwas über sich selbst zu schmunzeln. Ich frage mich, wieviele Pläne der schleppende Verkaufsprozess wohl sonst noch auf dem Gewissen hat?
Die Bowlingbahn der Ray Barracks heute
Dem Friedberger Nachtleben blieb Moses meist fern. Zur Army gegangen war er, um die Eltern und seine vier Geschwister unterstützen zu können. Seinen Sold zu vertrinken, kam ihm, der ohnehin nicht allzuviel von Drogen und Alkohol hielt, nicht in den sinn. Zudem war Moses kurz nachdem Mattias ihn kennengelernt hatte, zum Ausbilder befördert worden. Die notwendige Distanz zu seinen Untergebenen einzuhalten war für ihn von enormer Wichtigkeit. Die soziale und ökonomische Realität seiner Familie, die als Schwarze im us-amerikanischen Süden immer noch stark benachteiligt und alltäglichem wie institutionellem Rassismus ausgesetzt waren, von der Moses seinen neuen Freunden berichtet, lässt diese verstehen, dass der Gitarrist zur Armee ging. Es war seine einzige Chance auf eine solide Karriere und gesicherte Existenz. „Denn eigentlich waren wir absolute Pazifisten, und gegen das Militär.“
Die Amerikaner mit deren Anwesenheit Mattias groß geworden ist, erweckten allerdings selten den Eindruck kriegswütiger Agressoren. Vielmehr hatte man in Friedenszeiten den Eindruck, sie seien in der Hauptsache damit beschäftigt, Geld auszugeben, zu feiern und Zeit totzuschlagen. Es gab auch in Mattias Familie einige Resentiments gegen die US-Army und ihre Angehörigen. Diese hatten jedoch in der Hauptsache mit der Stationierung von Atomwaffen und dem Wahnsinn des Kalten Krieges zu tun. Ob ein Amerikaner nun weiß oder schwarz war, war zumindest Mattias Eltern egal. Auch als Moses in der Garage der Fenskes musizierte, regte sich in den Eltern keine Gegenwehr.
Mattias entwickelte zu Moses, den er als besonnenen und wunderbaren Menschen beschreibt, eine tiefe Freundschaft.
„You are my little brother“, hat Moses mehr als einmal zu ihm gesagt.
Konzerte in deutsch-amerikanischer Besetzung haben Alienation allerdings nur drei gegeben. Eines bei Piano Palme in Ockstadt, eines im JUZ Bad Nauheim und ein drittes ganz besonders in Behringen, das damals noch im Staatsgebiet der DDR lag.
Der Stadtjugendring hatte einen Austausch von Bad Nauheimer und Behringer Bands organisiert. Alienation, im Gepäck einen echten amerikanischen GI, reiste im VW Pritschenwagen in die DDR, begleitet von einem ganzen Reisebus Wetterauer Metalfans. Ein einmaliges Erlebnis, bei dem Mattias Augen anfangen zu leuchten
Umso schwerer der Schock, als kurze Zeit später der erste Golfkrieg ausbrach und Moses einen Marschbefehl erhält. Ihm würde nichts passieren, seine Freunde sollten sich keine Sorgen machen, er würde heil wieder nach Hause kommen. Ein Versprechen, das Moses einhält. Aber leider gibt es Alienation schon nicht mehr, als er wieder nach Friedberg zurückkehrt. Warum, wieso? Darüber sprechen wir nicht. Da ich selber in Bands gespielt habe, weiß ich, wie schwer es ist eine Gruppe zusammenzuhalten, und auch wie unschön eine Trennung in diesem Fall verlaufen kann.
Bald erschwerte, neben dem Mangel an gemeinsamer Aktivität noch die räumliche Distanz die Fortsetzung der Freundschaft: Moses wurde an einen anderen Standort der US-Army in Deutschland versetzt. Während der Amerikaner bei der Armee Karriere machte, hatten Mattias und seine anderen Bandkollegen neue Musikprojekte im Kopf, machten Abitur, Zivildienst, engagierten sich im Stadtjugendring und reisten um die Welt.
Moses im Proberaum
Und so sah Mattias Moses zum letzten Mal, als er kurz vor seiner Rückkehr in die USA noch einmal in der Wetterau vorbeischaute, um sich bei seinen alten Freunden zu verabschieden. Er hatte eine deutsche Frau kennengelernt, sie geheiratet und wollte nun mit ihr zurück in die USA. Man blieb im Kontakt, einmal im Jahr oder manchmal auch nur alle zwei Jahre telefonierten die Freunde. Mattias, der öfters beruflich in den USA ist, machte hin und wieder den Anlauf seinen alten Bandkollegen zu besuchen, aber irgendwie klappte es einfach nie. Im letzten Jahr bekam Mattias dann einen traurigen Anruf von Moses Frau. Er war gerade in Griechenland im Urlaub, als ihm eröffnet wurde, dass Moses schon ein Jahr zuvor an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstorben sei. Mattias war fassungslos, zurück zu Hause suchte er alle Tonaufnahmen, Fotos , Videos heraus und schickte sie an Moses Frau und Sohn. Als Dankeschön erhielt er das Video von der Beerdigung, dass ihn jedoch mehr aufwühlte, als dass es dazu führte, dass Mattias in Ruhe Abschied nehmen konnte. Moses hatte sich nach seiner ehrenhaften Entlassung aus der Armee die Haare wachsen lassen und gab sich voll und ganz dem Bau von Gitarren aus alten Zigarrenkisten hin, war wieder ganz bei sich selbst.
Nichts davon wurde bei seiner Beisetzung erwähnt. Nichts über den Menschen Moses, seine Leidenschaften, seine Wesensart. Das machte Mattias traurig und wütend. Einzig die Rekapitulation der militärischen Karriere schien im Rahmen der Beisetzung von Bedeutung. Dieser Artikel ist ein kleiner, bescheidener Versuch, etwas über den Menschen Moses zu berichten, der eben nicht nur Soldat war, sondern auch die Sprache der Musik zur Kommunikation mit der Welt nutzte, auf Menschen zuging und ihr Leben bereicherte. Jemand, der auf anderer Ebene wirkte, als es einem Soldaten in der Regel zugestanden wird.
Ein echter Freund.
Cover Demotape Alienation
Moses, Guido, Sven, Mattias, Ralf
Sk8 high in der Wetterau