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TRÄUME IN STEREO

Lange hat es gedauert bis Heiko Hübschmann einen freien Termin gefunden hat, an dem er mich zu einem Gespräch treffen kann. Der Betreiber des Friedberger Tonstudios Stereoblue ist ständig unterwegs, immer unter Strom. Da ein Tonstudio eine vierköpfige Familie nur schwer ernähren kann, hat Hübschmann sein Tätigkeitsfeld erweitert, betreut und organisiert die Deutschlandkonzerte großer Acts wie Metallica, Beyoncé und vielen, vielen anderen. Als wir uns im Juni 2023 im Keller der Gutenbergstr.7 treffen, ist gerade Hochsaison. „Nur ein Telefonat noch, dann kann’s losgehen, viel Zeit habe ich aber leider doch nicht. Es ist einfach der Wahnsinn gerade“, begrüßt mich der 1979 in Bad Nauheim geborene Hübschmann. Um das Interview gebeten hatte ich ihn bereits 14 Monate zuvor, als mir ein alter Artikel aus der Stars and Stripes in die Hände fiel, der von einem amerikanischen GI berichtete, der im Stereoblue gemeinsam mit Hübschmann eine Platte aufgenommen hatte, auf der er die Erlebnisse des Irak Krieges musikalisch und lyrisch verarbeitet hat. Bei unserem ersten kurzen Gespräch deutet Hübschmann sofort an, dass Josh Revak, so der Namen des musizierenden GI’s bei Weitem nicht der einzige war, der die wenigen Meter aus der Kaserne in die Gutenbergstraße zurückgelegt hatte, um sich Studiozeit bei dem vielseitig aufgestellten Toningenieur Hübschmann zu kaufen. „Geschätzt waren es so um die 50 GI’s die über die Jahre bei mir aufgenommen haben. Das hat zeitweise 20 % meiner Aufträge ausgemacht“, berichtete der 44-jährige. Aber wie genau kam es dazu? Da muss Hübschmann selber ein wenig in seinem Gedächtnis kramen. Dann fällt ein Name. „Sam, ja genauso hieß er, der hat so eine Panzerbrigade angeführt. Der kam als erstes auf mich zu.“ Allerdings war Sam selber gar kein Musiker. Für seine Zeit nach dem Militär hatte der Offizier jedoch eine Karriere als Musikmanager im Sinn. Starten wollte er seinen Erfolgszug einer schwarzen Boygroup, die er in der Friedberger und Gießener Kaserne zusammengecastet hatte. Im Schlepptau hatte Sam damals einen weiteren ehemaligen GI, der die Beats liefern sollte und mit Heiko zusammen die Band auf professionellem Niveau produzieren sollte. „Das war Jeffrey Hannah.“ Die Boygroup mit dem Namen Groop Theropy blieb leider erfolglos, trotz professionellem Sound, Liedern die das Zeug zum Hit hatten und aufwendiger PR.

TRÄUME IN STEREO
TRÄUME IN STEREO

Was sich jedoch als äußerst produktiv erwiesen hatte war die Zusammenarbeit von Jeff und Heiko. Auch ohne Sam und Groop Theropy machten die beiden weiter, träumten gemeinsam den Traum vom großen Durchbruch. Jeff lieferte die Beats, und rekrutierte junge schwarze Soldaten in den Ray Barracks, mit denen man gemeinsam den Durchbruch schaffen wollte. Heiko, der bisl dahin kein großes Interesse an Hip Hop hatte, arbeitete sich in die Materie und lieferte den passenden Sound auf Majorlabelniveau. Aber nicht nur das – es waren schließlich besondere Zeiten. Die amerikanischen Soldaten, denen man noch einige Jahre zuvor unterstellte, sie seien in der Hauptsache damit beschäftigt ihre Zeit totzuschlagen und den Sold unter die Leute zu bringen, waren seit 2001 immer wieder auf Tour, wie es im Armyjargon heißt – im Kosovo, in Afghanistan und schließlich im Irak. So auch die jungen Musiker, mit denen Jeff und Heiko regelmäßig arbeiteten. Immer wieder wurde die Arbeit an der Karriere im zivilen Leben durch Kriegseinsätze unterbrochen. Zurück kamen traumatisierte, verwundete Soldaten, die ihre Erlebnisse in Songs verarbeiten wollten. Das Stereoblue war für viele von Ihnen auch ein Ort der musikalischen und lyrischen Aufarbeitung des Erlebten, und Heiko Hübschmann und sein Kollege Jeff boten die nötige Infrastruktur und den kreativen Support. Dass man bei Heiko aufnehmen konnte, und das in hervorragender Qualität, sprach sich auch unter den weißen GI’s rum und so gaben sich bald zwei Fraktionen im Stereoblue die Klinke in die Hand – schwarze GI’s mit Interesse und Skills im Bereich Hip Hop und Rap, sowie eben die weißen Soldaten, die ihren Fokus eher auf Rockmusik und Country legten. Aber nicht nur die Musikstile und Hautfarben unterschieden sich, sondern auch die mit dem eigenen Output verbundene Erwartungshaltung. Produzierten die weißen Jungs (tatsächlich hat sich nicht ein weiblicher GI in all den Jahren im Stereoblue eingefunden) eher für sich, ihre Familien, Freunde etc. so war das Ziel der meisten Rap Artists der Erfolg in der Hitparade, der große Durchbruch. Sie wollten es in Deutschland, auf dem europäischen Markt schaffen. „Das Zeug dazu hatten sie allemal“, so Hübschmann. Leider ist aus keinem der aufstrebenden jungen Talente von damals etwas geworden. Nicht einen Künstler konnte das deutsch-amerikanische Produzententeam bei einem Majorlabel platzieren. „Das war ja damals die einzige Option.“ Streamingdienste, wie Spotify, die heutzutage jedem ermöglichen seine/ihre Musik zu veröffentlichen, gab es noch nicht. Indiestrukturen im Rap und Hip Hop waren derzeit vollkommen anders ausgerichtet und fast schwerer zu erreichen als die großen Plattenfirmen.„Das hat Jeff richtig fertig gemacht.“ Beide waren sich sicher–wir produzieren hier auf ganz hohem Niveau, am Zahn der Zeit, das muss doch klappen. Immer wieder bahnten sich auch vielversprechende Dynamiken an. So erschien eines Tages der australische Dokumentarfilmer George Gittoes in Hübschmanns Studio. Gittoes hatte in Bagdad die Mediensperre der US-Regierung umgangen und hatte dort den Film Soundtrack to War gedreht, in dem es um die Bedeutung von Musik für die im Irak eingesetzten Soldaten ging. Die Einheit mit der Gittoes unterwegs war, die er auch porträtierte, kam aus Friedberg.

Josh Revak in George Gittoes großartigem Film "Soundtrack to War", 2005

Die Soldaten hatten von ihren musikalischen Träumen und ihrer Zusammenarbeit mit Heiko erzählt. Gittoes wollte sich ein Bild machten und dokumentierte einen Tag lang die Aufnahmen in Heiko Hübschmanns Studio. Was mit dem Material passierte ist unklar. Dennoch, Gittoes Anwesenheit sorgte für Aufregung, denn Michael Moore, der berühmte Dokumentarfilmer hatte für seinen Film Fahrenheit 9/11 einige Sequenzen aus Soundtrack to War genutzt, und damit auch das musikalische Potential und Talent einiger Ray Barracks Soldaten in die Welt getragen. Die amerikanische Musikindustrie wurde aufmerksam, berühmte Musiker, wie Pablo Petey wollten die rappenden Soldaten featuren, sie in die Öffentlichkeit bringen und unterstützen. Tatsächlich nahm das Ganze dann auch Fahrt auf, die Aufregung und der Glaube an den baldigen Erfolg wuchsen.

Ein berühmter Gast im Stereoblue!

Aber letzten Endes verliefen auch hier die sich anbahnenden Kooperationen im Nichts. Hunderte unveröffentlichter Songs, von deren atemberaubender Qualität ich mich im Studio selbst überzeugen konnte, liegen noch heute auf der Festplatte des Stereoblue, und werden vermutlich nie erscheinen, auch wenn dank Streamingdienste etc. einer Veröffentlichung nichts mehr im Wege stehen würde. Aber es ist eben auch viel Zeit ins Land gegangen. Jeff und Heiko haben keinen Kontakt mehr. Wo die Musikerinnen und Musiker von damals heute sind, wie man sie erreichen könnte, ist unklar. Heiko weiß, es wäre ein Fehler, einfach so etwas ins Netz zu stellen. Was wäre, wenn einer der GI’s die in den Nuller Jahren in der Aufnahmekabine in Friedberg standen, heute eben doch erfolgreicher Musiker mit Majorlabelvertrag wäre? Was würde so ein Label tuen, wenn plötzlich Tracks einen gesignten Künstlers auftauchen würden? Heiko weiß es nicht, bleibt aber lieber vorsichtig. Auch mir möchte er die Songs lieber nicht geben – verständlich. Dann aber fällt ihm ein, dass es ja noch diesen einen Song gab, der nicht für ein größeres Publikum bestimmt war. Josh Revak, der mit einer Beinverletzung aus dem Irak wiedergekehrt war, hatte die Idee für die Kameraden und Kameradinnen an der Front einen musikalischen Weihnachtsgruß zu senden. Eine CD mit Produktionen aus dem Stereoblue Studio. Über ihre Liebe zur Musik waren sich Country- und Rap-Fraktion nähergekommen, schätzten sich gegenseitig für Talent und Kreativität, und so gründete man für das Projekt eine Art Stereo-Blue Supergroup. Auch Grußbotschaften der zu Hause gebliebenen Familien an die GI’s in Bagdad nahmen Jeff und Heiko in ihrem Studio auf. Hübschmann erinnert sich an große Emotionen, viele Tränen. Teile dieser Grußbotschaften fanden als Samples Einzug in den Song Arm Support Radio, ebenso die Stimme des Kommandanten, der über das Satellitentelefon eine Grußbotschaft an alle seine Soldaten und Soldatinnen richtet. Der Song geht unter die Haut, immer wieder drängen Kinderstimmen, die sich nach dem Vater sehnen zwischen die Durchhaltelyrics und den stampfenden Beat. Ein Stück Zeitgeschichte, dass mir Hübschmann glücklicherweise zur Verfügung stellt.

Bleibt zu hoffen, dass die vielen, vielen Songs, die das Produzententeam Hübschmann/Hannah in den Stereoblue Studios aufgenommen hat, eines Tages doch noch ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Sie sind authentische Zeugnisse von Menschlichkeit in einem ungerechten Krieg, vom Willen es zu schaffen, und nicht zuletzt von einer musikalischen Tradition in den Ray Barracks, die eben nicht bei Elvis anfängt und aufhört, sondern eng verbunden ist mit der Involviertheit in weltpolitischen Ereignisse und der sozialen Realität aus der die GI’s kommen. Viele von Ihnen wollten nicht mehr zurück in diese amerikanische Realität in der sie für sich keine Chance sahen, und haben versucht in Deutschland Fuß zu fassen, auch wenn es mit der musikalischen Karriere nicht geklappt hat. „Fast keiner hat es geschafft“, sagt Heiko Hübschmann, „auch Jeff nicht.“ Trotz Frau und Kindern konnte der ehemalige Soldat keinen Fuß im deutschen Alltag fassen. Nach einer langen Nacht, in der Heiko und Jeff nochmal die ganzen Produktionen der vergangenen Jahre durchgehört hatten, brachte Hübschmann seinen Freund und Kollegen zum Frankfurter Flughafen und kaufte ihm ein One Way Ticket zurück in die USA. „Es hat eben nicht sollen sein“, sagt Hübschmann, den unser Gespräch nachdenklich gemacht und tief in die eigene Vergangenheit geführt hat. Aber da klingelt schon wieder das Telefon– in ein paar Tagen geht Hübschmann wieder auf Tour. „Es ist einfach der Wahnsinn gerade“, sagt er noch einmal, bevor ich das Stereoblue wieder verlasse, und zu meinem nächsten Interviewtermin aufbreche.

TRÄUME IN STEREO