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Alex schenkt mir noch eine Pepsi ein. Er selbst ist Diabetiker, muss sich zurückhalten. Mehr als ein Glas ist nicht drin. Ich merke, wie Alex ein wenig herumdruckst. Er will mir gern erzählen, wer da noch vor der Tür des Fernsehstudios stand, damals im Sommer 2001. Wen hatte Arabella noch gefunden? Aber dafür braucht Alex ein wenig Mut, scheint es. Vor allem aber muss er weiter ausholen…

Es ist das Jahr 1992. Alex ist zurück in Friedberg, seit sechs Jahren schon. Kurz nach seiner Geburt, hatte Alex Mutter einen weiteren amerikanischen Soldaten kennengelernt, von dem sie bald ein zweites Kind erwartete. Alex Bruder wurde geboren- Halbbruder korrigiert er sich – die Distanz, das Desinteresse, dass die beiden aneinander haben, begründet sich laut Alex auch in diesem Umstand. Der aus Hawaii stammende Stiefvater entpuppte sich schließlich als absoluter Fehlgriff – Alkohol und häusliche Gewalt führten schließlich zur Trennung des deutsch-amerikanischen Paares. Alex und sein kleiner Halbbruder kamen zu einer Pflegefamilie, keine Besonderheit bei alleinerziehenden Frauen, die im Schichtbetrieb der Gastronomie arbeiten – auch heute noch. Kaum eine Branche berücksichtigt die Lebensumstände ihrer Angestellten weniger. Die Dienstpläne in der Gastronomie ließen keine Zeit sich ausreichend um die Söhne zu kümmern. Mit sechzehn ist Alex abgehauen von den Pflegeeltern, machte sich alleine auf den Weg zur Mutter, groß genug, um für sich selbst zu sorgen. Eines Tages stand er vor ihr, am Tresen einer Altstadtkneipe. Die Mutter verschaffte ihm Jobs, als Kellner, Barkeeper, Türsteher, führte ihn in die Szene ein. Schnell war Alex Teil des Milieus in dem sich seine Eltern kennenlernten. Bewirtete, trank und feierte mit den Amerikanern, schloss schnell kurze, intensive Freundschaften. Die meisten amerikanischen Soldaten waren nicht länger als zwei Jahre in der Stadt. Genauso lebten sie, genauso feierten sie, genauso tranken, tanzten, liebten sie– als gebe es kein Morgen. Und Alex mittendrin. Irgendwie einer von ihnen, ließ er sich mitziehen in den Rausch. Während sich seine amerikanischen Freunde in Wetterauer Mädels verliebten, verlor Alex sein Herz an die noch minderjährige Tochter eines amerikanischen Offiziers. So sehr dieser auch versuchte, seine Töchter aus dem Partyleben der hessischen Provinz fern zu halten, so sehr swuchs deren Wunsch nach Freiheit, Partys, Jungs und Abenteuer. In Amerika konnte man Alkohol erst ab 21 kaufen, in Deutschland schon mit 16. „Wer das nicht ausnutzte, war doch selbst dran schuld.“ Wie auch immer es genau war, Alex und die junge Amerikanerin mochten sich sehr gerne. Und eines Tages bat sie ihn zu sich nach Hause, die Abreise der Familie stünde kurz bevor, es geben noch was zu bereden. Alex machte sich auf den Weg in die Housing Area, er klingelte, seine Freundin kam ihm entgegen, in der Hand ein Buch, eine Sammlung amerikanische Vornamen für Babys – sie erwartete Alex Kind.

Kurz nachdem Alex wußte, dass nun auch er Vater eines halben Amerikaners werden würde, öffnete sich die Wohnungstür. Der Vater, der Offizier, der im Nahkampf ausgebildete Soldat. Er sah Alex in die Augen, fragte kurz und harsch, ob er derjenige sei, der das Leben seiner Tochter ruinierte? Alex nickte, der Offizier bat kurz zu warten, er müsse schnell sein Messer holen. Alex nahm die Beine in die Hand. Am nächsten Tag schon flog seine Freundin samt Familie in die USA zurück. Wohin, wußte Alex nicht. Er hatte keine Telefonnummer, keine Adresse, und auch ihn erreichten keine Nachrichten, keine Anrufe.

Und dann knapp zehn Jahre später in einem Fernsehstudio in München öffnet sich die Tür und Alex steht seinem kleinen Sohn zum ersten Mal gegenüber. Neben Alex, seine Tante Esther, Großtante des Jungen. Vor den Augen von Millionen Zuschauern findet eine transatlantische Patchworkfamilie zusammen. Alex fällt es auch heute noch schwer, die Achterbahn der Gefühle zu beschreiben, auf der er in diesen Minuten gefahren ist. Klar, er hatte diesen Moment gesucht, ihn herbeibeschworen, und doch ist das, was jetzt in ihm passiert, fast zu viel für einen Menschen.

Alex kann es nicht beschreiben. Auch heute zwanzig Jahre später überfordert ihn die Karussellfahrt der Gefühle. Sein Blick richtet sich nach innen, als stünde er wieder im Münchner Fernsehstudio. „Alex?“. Ich hole ihn zurück in die Wirklichkeit. „Sorry“, sagt der sympathische Friedberger, „jetzt kommen wir ja erst zu dem Teil,den ich eigentlich erzählen wollte.“ Und das ist Alex Reise in die USA. Wieder sucht er nach Worten: Unvergesslich, wunderschön, ein Superlativ folgt dem nächsten.

Er schlägt die Fotoalben auf, fängt an zu erzählen, von der Reise nach Kalifornien, die unbekannte Heimat, an jedem Bild hängen Gefühle, hängen Erinnerungen. Alex sagt, in Kalifornien, umgeben von der Familie seines Vaters, umgeben von Hispanics, fühlte er zum ersten Mal Zugehörigkeit, fühlte er sich zum ersten Mal zu Hause, unter seinesgleichen.

„Das Gefühl, hier gehöre ich hin. Das sind meine Leute, auch wenn sie eine andere Sprache sprechen.“ Spanglisch nennen die Verwandten ihren Mix aus Spanisch und Englisch. Dringend lernen müsse er sie, um einer von ihnen zu sein. Kauf ein Haus, Alex, rufen sie ihm zu. Zum Greifen nah ist das Leben in Amerika, ein neuer Anfang, die deutsche Kleinfamilie würde einfach in die Großfamilie von Alex' Vater integriert. Gerade mal 30.000 Dollar kostet damals ein kleines Haus mit Garten in Azusa.

Von Arabell nach Azusa (Teil 2)

Alex, seine damalige Frau und die Tochter wohnen die meiste Zeit bei Tante Ester, feiern Alex Geburtstag in einem japanischem Edelrestaurant mit Tischgrill, gehen tanzen, feiern. Hinter ihnen liegen unbeschwerte Wochen voller neuer Eindrücke, voll herzlicher Begegnungen, familiärer Zuneigung. Dann fliegen in New York zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers, und die Welt ist nicht mehr die gleiche. Alex ist zum Zeitpunkt des Geschehens in Amerika, und spürt, wie die vorherige Offenheit, die ihm überall begegnete, verschwindet, wie Schranken hochgehen, ein Land im Schockzustand. Rasender Stillstand. Aber Alex hat in dieser Zeit Termine zu absolvieren, bewegt sich mit dem Auto durch ein vollkommen anderes Land mit dem Auto Richtung Norden in die Haftanstalt, in der sein Vater einsitzt. Sechs Stunden, Aufregung pur. Das erste Mal den Vater sehen. Unter solchen Umständen, im Gefängnis. Um Alex herum rüstet Amerika auf. Im Großen wie im Kleinen. Aber auch wenn es zuvor unmöglich erschien, wird das alles unwichtig, für den Augenblick, in dem sich Vater und Sohn zum ersten Mal gegenüberstehen, sich erkennen. Sie sehen sich ähnlich, treten sich gegenüber, keine Distanz, enorme Vertrautheit. „Als würden wir jeden Tag miteinander chillen.“

Als Vater und Sohn sich in der Haftanstalt zum ersten Mal gegenübersitzen, ist es drei Wochen her, dass Alex in LA gelandet ist. Er ist in dieser kurzen Zeit bereits ein anderer geworden. Er erzählt dem Vater vom Besuch des jährlichen Familientreffen, zu dem ihn dessen Schwester Ester mitgenommen hatte; erzählt wie es eine Weile gedauert hat, bis er realisierte, dass er mit all diesen Menschen auf die eine oder andere Weise verwandt ist. Die Wetterauer Kleinfamilie stand in einem Park und war plötzlich Teil einer fast hundertköpfigen amerikanischen Großfamilie. Und alle kamen Sie, um Alex zu begrüßen, ihm die Hand zu reichen, sich vorzustellen.

„Hallo ich bin dein Cousin“, „Ich bin deine Tante“, Ich bin Großgroßcousine“ Alex Augen leuchten, auch zwanzig Jahre später noch. Sie überreichen ihm Geschenke: freier Eintritt nach Disneyland, eine Fahrt in einer Limousine, Alex nennt die Highlights, erzählt noch immer atemlos. Nach Tijuana wollen sie mit ihm fahren, nach Mexico. Das daraus nichts werden wird, weiß Alex noch nicht. Damals im Park, beim BBQ, im sanften Licht des Spätsommers stehen die Türme des WTC noch.

Der Vater lauscht neugierig, als der Sohn berichtet. Dann ist er an der Reihe, er hat sich vorbereitet, holt aus, geht weit zurück in seinen Erinnerungen. Um die Familie, seine Eltern und die acht Schwestern zu unterstützen, war er zur Armee gegangen. Eine Einwanderergeschichte. Dann die Abmahnungen, die Fehltritte, die Regelüberschreitungen. Er erzählt, von den Problemen mit den Drogen, wie das anfing in der Army, in Friedberg. die schließlich in der unehrenhaften Entlassung des Private Negretes münden. Mitnehmen hatte er die Mutter wollen, aber deren Wetterauer Wurzeln waren zu stark, sie konnte es sich nicht vorstellen nach Amerika zu gehen, den Amerikaner mit den schnellen Fäusten und Spitznamen Negro zu heiraten, in Kalifornien fern der hessischen Heimat, weit weg von der Familie. Fern der pulsierenden Friedberger Altstadt mit ihren Diskotheken, ihren Bars und Kneipen. Nein, so sehr sie den temperamentvollen Mann auch mochte, sie blieb in Deutschland und hat die Entscheidung nie bereut. Kurz nach Alex Geburt, lernt sie einen weiteren amerikanischen Soldaten kennen, von dem sie bald ein zweites Kind erwartet. Alex Bruder wird geboren- Halbbruder korrigiert er sich, die Distanz, das Desinteresse, das die beiden aneinander haben, begründet sich laut Alex auch in diesem Umstand. Der aus Hawaii stammende Stiefvater entpuppt sich schließlich als absoluter Fehlgriff. Alkohol und häusliche Gewalt führen zur Trennung des deutsch-amerikanischen Paares. Alex und sein kleiner Halbbruder kommen zu einer Pflegefamilie, keine Besonderheit bei alleinerziehenden Frauen, die im Schichtbetrieb in der Gastronomie arbeiten, auch heute noch. Kaum eine Branche berücksichtigt die Lebensumstände ihrer Angestellten weniger. Alex Vater nickt. Heute weiß er, dass seine damalige Partnerin Vermutlich die richtige Entscheidung getroffen hat. Zurück in den USA hat Alfredo Negretes nicht wieder in die rechte Bahn gefunden. Die Drogen, der Alkohol waren bereits zu sehr Teil seines Lebens geworden, ein Leben zwischen Rausch, Beschaffungskriminalität und Gefängnis beginnt und endet vorerst mit der Verurteilung zu 20 Jahren Haft. Eine nachvollziehbare Strafe für einen Wiederholungstäter, wie Alex findet, und wiederholt damit auch die Worte seines Vaters. Als Alex ihn im Gefängnis trifft, sitzt dieser seit fünf Jahren ein, hat seine Strafe akzeptiert, sieht ihren Sinn und gelobt Besserung. In Briefen ermahnt er später seinen Sohn, dass dieser nicht die gleichen Fehler macht wie er. Er meint es gut, aber Alex wird es ihm übelnehmen. Warum? Alex, der sich sehr bemüht, dem Vater keine Vorwürfe für dessen Abwesenheit zu machen, der immer wieder betont, dass er seinen Vater nie vermisst hätte, wird auch jetzt ein wenig wütend: Wie der Vater dazu käme, ihm sein Verhalten vorzuschreiben. Nie hätte er sich für ihn interessiert, nie sei er dagewesen, und jetzt sagt er Alex, was der zu tun und lassen hat? Ich weiß, er hat das ganz anders gemeint, und trotzdem…

Von Arabell nach Azusa (Teil 2)

Alex versucht seine Enttäuschung nicht zu zeigen. Das letzte Mal als sich die beiden sahen, auf Skype, kurz nach der Entlassung des Vater 2015, kam es zum Streit. Alex will das nicht und wollte das nicht. Zu seiner Tante Eshter und ihren Kindern, besteht immer noch Kontakt, herzlich und regelmäßig tauscht man sich aus. Auch mit dem Vater will Alex sich versöhnen. Zwanzig Jahre ist es her, dass er zum letzten Mal in Amerika war. Die nächste Reise ist bereits geplant. Diesmal kommt Alex mit seiner neuen Lebensgefährtin. Und diesmal geht es auch um seinen Sohn. Alex will es anders machen als sein Vater. Die beiden haben sich die Arabella Folge letztens zum ersten Mal gemeinsam angesehen. Alex hatte Gänsehaut. Da ist eben vieles noch nicht verarbeitet. Und die Sehnsucht ist nun mal da…

Von Arabell nach Azusa (Teil 2)
Von Arabell nach Azusa (Teil 2)